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Pleo: Roboter-Dinosaurier als Haustier
von Daniel Schraeder am , 17:20 Uhr
Etwa 30 Prozent der Deutschen haben ein Tier. Hunde und Katzen stehen dabei ganz vorne auf der Liste, doch mal im Ernst: Wer hätte nicht gerne einen Baby-Dinosaurier zu Hause? Einen, der nicht wächst? Keinen Dreck macht? Der nicht zum Tierarzt muss, keinen Dino-Sitter in den Ferien braucht und der einen am Wochenende nicht weckt? Tolle Vorstellung? Sie sollten sich Pleo näher ansehen.
Katzen haben eine beruhigende Wirkung. Sie lassen ihre Herrchen auch mal Abschalten, fernab des Alltagsstress. Das ist sogar wissenschaftlich belegt – Katzenbesitzer leben eben länger. Aber auch die Herrchen der beruhigendsten Tierchen möchten mal in den Urlaub fahren. Wäre es da nicht praktisch, wenn man den lieben Mitbewohner einfach ausschalten könnte? Tierquälerei? Bei einer Katze wahrscheinlich ja, bei einem Hund wohl auch – es sei denn, es handelt sich um Aibo, ein hundeähnliches Haustier aus den frühen Roboterversuchen von Sony [1].
Doch der hat zugegebenermaßen nicht viel mit einem „echten“ Haustier zu tun. Er läuft einem neonfarbenen Ball hinterher, kann ein paar simple Kunststücke und, zusammen mit weiteren Aibos, auch eigenständig Fußball spielen. Die klassischen Haustier-Effekte sind dahin.
Hier kommt Ugobe ins Spiel – ein amerikanisches Start-up-Unternehmen, dass die Idee des elektronischen Haustiers wieder aufgegriffen hat. Das erste Produkt ist ein Baby-Dinosaurier – ein etwa eine Woche alter Nachkomme eines Camarasaurus. Eigentlich lebte das Getier in der Jura-Zeit und ist seit unzähligen Jahren ausgestorben – doch eine Latex-Haut, sechs Prozessoren, 14 Motoren und jede Menge Technik erwecken ihn wieder zum Leben.
Pleo kennen lernen
Das fängt an beim Öffnen der Verpackung. Klar, im Gegensatz zu Waldi & Co. kommt Pleo im Karton. Zusammen mit einem Akku, einer Registrierungskarte, Ladegerät samt Netzteil und einem Blatt aus Hartgummi – seinem Fressen. Zunächst will der mächtige Akku-Block geladen werden. Nach der Ladezeit, die einem unendlich lang vorkommt – schließlich will man ja sein neues „Haustier“ beschnuppern – bereitet das Einstecken des Akkus in den Bauch des Babydinos die ersten Minuten im Leben des Pleos vor. Nur noch den Schiebeschalter auf der Unterseite – zwischen USB-Buchse und SD-Kartenleser – einschalten, und es kann los gehen. Eben fast wie bei einer echten Katze.
Pleo kommt im Karton: Neben dem Robo-Saurier erhält der Käufer Akku, Ladegerät und Futter.
Und was passiert jetzt? Nichts. Pleo schläft, man muss ihn wecken. Sanft, durch Streicheln seiner Latexhaut, durch Rufen, Stupsen und Winken. Es kommt einem schon komisch vor, fast, als würde man einen Kasten Bier streicheln. Bis Pleo zuckt und ruckt und zum ersten Mal seine Augen öffnet. Was für ein Moment! Wie er uns anguckt! Das ist zugleich das erste Mal, wo er seine Augenfarbe verrät: die meisten Pleo-Äuglein sind himmelblau, einige wenige golden. Unserer ist „gewöhnlich“, hat blaue Guckerles – aber wir lieben ihn genau so, wie er ist.
In der nächsten Zeit durchläuft der Pleo zwei kurze Phasen seines Lebens – seine Geburt und das Kleinkindalter – bis er sein restliches Leben als freches Kind verbleibt. Körperlich wächst er dabei zwar nicht, aber sein Wesen verändert sich. Am Anfang schläft er fast nur, tappst ein wenig durch die Welt – das erinnert stark an Hundewelpen. Später wird er dann aktiver.
Was der Dino kann
Aktiver? Bei einem Welpen kann man sich das noch bildlich vorstellen. Er wird langsam selbstständig, traut sich weiter weg von seiner Mutter und betreibt klassisches Learning-by-doing. An der Brennnessel schnuppern tut weh? Dann mache ich das beim nächsten Mal lieber nicht mehr. Er tollt, er spielt, er fällt auch mal – und merkt sich all diese Erfahrungen für sein späteres Leben.
So sieht wahre Liebe aus. Dass unter den Augen eine Platine im Inneren zu sehen ist, scheint nicht zu stören.
Faszinierender Weise verhält sich der Kunst-Dino analog dazu. Natürlich verbrennt er sich seine Schnauze nicht, wenn er an der falschen Pflanze riecht – doch er trottet selbstständig durch die Gegend, auf der Suche nach Aufmerksamkeit und nach Dingen, die er noch nicht kennt. Auf seinen vier Pfoten wandert er auf dem Wohnzimmertisch umher, bis er an die Kante kommt, blickt runter auf den Boden und schreit – hier geht es nicht weiter. Also zurück, mal gucken, ob es woanders weiter geht.
Mit der Nase stupst er alles an, was so herumsteht. Und bringt, wenn man nicht aufpasst, so auch schon mal eine Vase zu Fall oder stößt eine Kerze mit seinem wedelnden Schwanz um. Wenn viel los ist um ihn herum, fühlt er sich wohl, gröhlt, wenn gelacht wird, und wandert von einer Person zur nächsten. Und die Personen kommen um den süßen kleinen Baby-Dino einfach nicht herum. Nur ganz vereinzelt heißt es mal, „Ist das blöd“ oder „Meine Katze ist aber nicht so blöd wie der“. Die Masse derer, die mit Pleo in Kontakt treten, bücken sich sofort – und streicheln ihn.
Die Anzahl der „Funktionen“ ist begrenzt. Pleo kann nicht Fußball spielen, nicht sprechen, Bier bringen oder gar den Boden aufräumen. Stattdessen reagiert er einfach auf seine Umwelt. Und ist sooooo süß dabei.
Wie Pleo funktioniert
Damit das alles klappt, wachen insgesamt 38 Sensoren über Pleo und alles, was um ihn herum passiert. So weiß er, ob er steht oder liegt, getragen wird, in seiner Nähe Menschen oder Tiere sind, gesprochen wird, sich jemand um ihn kümmert, ihn streichelt, kitzelt oder zwickt.
Seine Ohren sind Mikrofone, in seiner Nasenspitze sitzt eine Kamera, darüber befindet sich eine Infraroteinheit. Die Sohle eines jeden Fußes ist ein Schalter, im Inneren wacht ein Beschleunigungssensor über die Lage des Dinos. An den Gelenken befinden sich Force-Feedback-Einheiten, im Maul eine Lichtschranke, unter der Haut an den Beinen, am Rücken und am Kopf sind Näherungssensoren angebracht, die „Streicheln“ und „Berühren“ interpretieren und sogar von Kitzeln unterscheiden können.
Mit dieser Fülle an Sensoren, mit 14 Motoren und über 100 Gelenken und Getrieben und zwei Lautsprechern verursacht das Haustier mit Ausschaltknopf Emotionen, ja fast mütterliche Gefühle. Er kann zwar nicht sprechen, aber weinen, husten, schnüffeln oder Niesen. Krault man ihn am Hals, streckt er sich genießerisch und wedelt mit dem Schwanz, ist ihm langweilig, gähnt er. Hält man ihm einen Finger vors Maul, packt er zu und schüttelt – wie ein Hund es tun würde. Hat Pleo Hunger, knurrt sein Magen – und wenn man ihn mit seinem Hartgummiblatt füttert, knuspert er genießerisch darauf rum.
Ruft man ihn, kommt er an – oder lässt es bleiben. Ob das an seinem eigenen, künstlichen Willen liegt oder ob die Software die Rufe nicht richtig interpretiert hat, bleibt offen. Ist letztlich aber auch egal – denn die Tatsache, dass er manchmal ankommt, reicht aus. So richtig hundertprozentig arbeitet das 32-Bit-Hirn ohnehin nicht. Manchmal, wenn man ihm einen Finger vor die Nase hält, beißt er zu und kaut drauf rum, als wäre es sein Blatt. Und manchmal schüttelt er sein Blatt, als wäre es ein Finger. Aber wer weiß – vielleicht „will“ er das in dem Moment auch einfach so?
Man kann ihn hochheben, in den Arm nehmen und auf den Rücken legen. Manchmal fängt er dann bitterlich an zu weinen, fast herzzerreißend. Man kann ihn aber auch herrlich kitzeln, wenn er auf dem Rücken liegt, mit den Fingern über seine Latexbeinchen streifen und die Taster unter den Füßen drücken. Klingt komisch? Ist es auch. Aber es ist trotzdem einfach soooo süß, wenn er lacht…
Was dahinter steckt
Die Firma hinter Pleo, Ugobe, will mit ihren künstlichen Lebensformen Emotionen verursachen. Dafür hat sie das Life OS genannte Betriebssystem entwickelt, das auf Pleo läuft – und sich bei Bedarf über den USB-Port des Haustiers aktualisieren lässt.
Pleo reagiert auf seine Umwelt und lässt sie auf ihn reagieren. Er bewegt sich so smooth wie ein echtes Tier – wäre er etwas schneller und würde man seine 14 Motoren etwas weniger hören, wäre die Illusion fast perfekt. Auf Youtube gibt es ein Video, das den Plastik-Dino im Seaworld-Aquarium zeigt – und eine Hand voll Delfine, die sich neugierig hinter der Glaswand ihres Beckens um den Dino scharen. Es wäre interessant zu wissen, wie Pleo auf sie wirkt, ob sie ihn als Lebewesen wahrnehmen, als verletztes Tier oder als realistisches Spielzeug.
Wie Delphine auf Pleo reagieren, zeigt dieses in Sea World aufgezeichnete Youtube-Video ab 1:46 Min.
Wie Menschen auf den Dino reagieren, wird hingegen bereits erforscht. Im Rahmen des LIREC-Projektes – Living with Robots and intEractive Companions – untersuchen auch Forscher der Universität Bamberg Pleo und sein Umfeld.
Offensichtlich gibt es zwei Typen von Menschen. Die einen sehen tatsächlich ein bemutternswertes Tier, streicheln es, pflegen es, haben Mitleid, wenn es zu Testzwecken zerstört wird. Die anderen sehen einen Haufen Elektronik unter einer Latexhülle und gucken mal, wie sie reagiert, drehen den Roboter auf die Seite oder auf den Rücken, ziehen an seinem Schwanz oder schütteln ihn. Der eine oder andere dürfte allerdings noch damit aufhören, wenn das einwöchige Baby weint.
Fazit
Es ist grotesk, mit einem Haufen aus Kunststoff, Latex, Sensoren, Motoren und Elektronik umzugehen, als würde er leben. Aber er verhält sich nun mal so. Und das macht er gar nicht mal so schlecht.
Doch Pleo ist einfach dumm. Er kann nichts, nicht bügeln, kein Bier holen, nicht das Fernsehprogramm vorlesen. Meinen ersten Roboter habe ich mir anders vorgestellt. Aber mal im Ernst – was davon können Hund oder Katze?
Fakt ist – wir hatten selten ein „Testgerät“, um das sich die Kollegen aus allen Abteilungen geschart haben wie um dieses. Selten wollten es so viele Leute mal mit nach Hause nehmen, Mütter, Väter, aber auch kinderlose. Und bis auf wenige Ausnahmen waren alle begeistert.
Kinder lieben Pleo: Wird er angeschaltet, sind die Kleinen hin und weg.
Das mag sich ändern, wenn man den 300 Euro teuren Roboter wirklich selber hat – der Neugier-Faktor ist einfach weg. Hier und da gibt es auch Kritik – so löst sich die Farbe viel zu schnell vom Rücken und hinterlässt ein tristes Braun.
Aber eine kleine Revolution ist der Baby-Camarasaurus auf jeden Fall. Und wenn der eigene Nachwuchs beschäftigt ist, wirkt sich das sicherlich auch lebensverlängernd aus…
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