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Steadycam im Eigenbau: Kamerafahrten wie auf Schienen
von Stefan Möllenhoff am , 17:55 Uhr
Ein optischer oder mechanischer Bildstabilisator gehört bei aktuellen Videokameras zum guten Ton. Allerdings gleicht der Verwacklungsschutz nur kleine Bewegungen durch zittrige Hände aus. Rennt der Kameramann beispielsweise mit dem Camcorder durch den Wald, helfen beweglich aufgehängte Linsengruppen und Bildsensoren nichts – ein tragbares Stativ, eine so genannte Steadycam, muss her. Wir haben uns einen solchen Verwacklungsschutz selbstgebaut.
1976 bekam der Kameramann Garrett Brown einen Oscar für die beste Kamera – ausschlaggebend war das von ihm entwickelte Steadycam-Stativ. Richtig bekannt wurde der Verwacklungsschutz allerdings erst mit den Kampfszenen in Rocky. Auch bei der Verfolgungsjagd durch den verschneiten Irrgarten in Kubricks The Shining sorgt Browns Steadycam für eine Kamerafahrt wie auf Schienen. Heutzutage ist dieser Typ von Stativ nicht mehr von Hollywood-Sets wegzudenken. Durch die enormen Anschaffungskosten im mindestens vierstelligen Bereich sind die kaufbaren Drehhilfen allerdings Profis vorbehalten.
Problematik: Was wackelt wie?
Im Gegensatz zu den durch Händezittern ausgelösten, kleinen und schnellen Verwacklungen wirkt das Stativ groben Störungen entgegen. Dabei unterscheidet man zwischen Neigen in Rechts-Links- und Kippen in Vorne-Hinten-Richtung sowie Stößen in der Vertikalen. Ziel der Steadycam ist es, den Kameramann soweit wie möglich vom Camcorder zu entkoppeln, um den Einfluss der Körperbewegungen zu minimieren.
Neigen und Kippen versuchen wir mit einer so genannten kardanischen Aufhängung zu eliminieren. Diese setzt sich aus drei konzentrischen Ringen zusammen, die über zwei rechtwinklig zueinander stehende Achsen miteinander verbunden sind. Durch die Mitte des innersten Rings geht eine Stange, die senkrecht auf den beiden anderen Achsen steht. Oben auf dieser Stange sitzt die Kamera. Am unteren Ende befindet sich ein Gegengewicht, das die Kamera stets parallel zum Boden hält. Es handelt sich bei dieser senkrechten Achse also um eine Art Hebel. Verwacklungen in der Vertikalen soll die Massenträgheit der schweren Konstruktion verringern.
Bastelstunde: die kardanische Aufhängung
Auf der Suche nach einem geeigneten Material für die konzentrischen Ringe stoßen wir im Baumarkt auf Abflussrohre. Wir finden drei verschiedene Größen, die mit ausreichend Abstand ineinander passen. Wir sägen jeweils die Muffen ab, da diese den stabilsten Eindruck machen. Zudem verstärken wir sie mit einem Stück vom anderen Ende des Rohrs, das wir in das dickere Stück einpassen – schließlich soll der Camcorder keine folgenschwere Begegnung mit dem Betonboden erleben. Um eine möglichst reibungslose Bewegung der konzentrischen Ringe zu ermöglichen, setzen wir auf Kugellager zur Aufhängung der Achsen.
Das ergibt also zweimal zwei Achsen, die auf beiden Seiten mit Kugellagern aufgehängt sind – soweit der ursprüngliche Plan. Her mit der Bohrmaschine und dem dicksten Bohrer, den wir im Bastelkeller finden können. Vierzehn Millimeter? Oh je. Na gut, dann feilen wir den Rest eben auf. Nach dem mühsamen Anfertigen der Fassung für das erste Kugellager ist klar: Soll das Stativ noch dieses Jahr fertig werden, brauchen wir eine bessere Lösung.
Wir durchstöbern das heimische Werkzeugchaos und finden einen dicken Forstnerbohrer [1], der einen etwa ein bis zwei Millimeter kleineren Durchschnitt besitzt als unsere Lager. Das fehlende Stückchen arbeiten wir mit einem runden Schleifstift aus einem Set vom Hagebaumarkt heraus. So dauert es keine fünf Minuten, bis ein Kugellager seinen Platz im Abflussrohr gefunden hat.
Gespannt verbinden wir die drei Ringe mittels Acht-Millimeter-Schrauben miteinander und stellen fest: Zwischen den drei Elementen sind die Spalte zu klein, die Schrauben stoßen bei größeren Kippwinkeln an. Das basteln wir wohl nochmal. Aber besser.
Dieses Mal verzichten wir auf Lager im äußeren und inneren Ring. Das spart einerseits Platz und andererseits Arbeit. Und schließlich genügt es ja, wenn nur eine Seite der Achse drehbar aufgehängt ist. Zudem schaffen wir durch den Einsatz von Sechs- anstelle von Acht-Millimeter-Schrauben mehr Freiraum. Dazu stecken wir Kunststoffadapter in die Kugellager, die den Innendurchmesser verkleinern.
Allerdings stehen wir vor dem nächsten Problem: An das innerste Glied der kardanischen Aufhängung müssen wir die Kamera samt Gegengewicht befestigen. Im Baumarkt finden wir eine „Design-Drahtbügelrolle“, die praktischerweise exakt in das zentrale Element passt, und kleben sie ein. Leichter gesagt als getan, denn wir versuchen es zunächst mit Heißkleber, zu viel Heißkleber. Beim Einpressen quillt die heiße Kunststoffmasse aus allen Ritzen heraus und auf unsere Hände – das gibt schöne Brandblasen. Zu allem Überfluss ist der Kleber nun hart und die Rolle noch nicht in der gewünschten Position.
Da hilft nur eines: Abflussrohr aufschneiden, Heißkleber abkratzen, noch einmal sägen und neu versuchen. Dieses Mal nehmen wir weniger Kleber und zeichnen uns die gewünschte Endposition im Inneren des Rohrs an. Der zweite Anlauf gelingt. Als senkrechte Achse kommt eine acht Millimeter dicke Gewindestange zum Einsatz. Zwei Muttern – eine ober- und eine unterhalb des innersten Teils – halten sie in Position.
Den äußersten Ring befestigen wir mittels gewöhnlicher Gewindeschrauben am mittleren Element. Für das Herzstück setzen wir auf Holzschrauben, die wir einfach durch den Kunststoff und in die Design-Drahtbügelrolle hineindrehen. Um das Holzrädchen in der Mitte nicht zum Splittern zu bringen, bohren wir vorsichtig mit einem kleinen Bohrer vor. Angesichts des verdächtigen Knacksens beim ersten Schraubversuch wahrscheinlich eine gute Idee.
Bastelstunde, die zweite: Camcorder und Gegengewicht
Ursprünglich hatten wir geplant, die Kamera mittels Stahlplatte mit der Gewindestange zu verbinden. Unglücklicherweise quittiert unser einziger Acht-Millimeter-Bohrer angesichts des harten Materials den Dienst und zwingt uns zum Improvisieren. Wir zerlegen ein altes Bilora-Stativ und montieren den Kopf ab. Dieser passt exakt auf das äußere Alurohr einer alten Krücke, mit deren Handgriff wir später einmal unsere Steadycam tragen wollen. In die zwei abgesägten konzentrischen Rohre der Krücke schieben wir noch ein Kupferrohr aus dem Baumarkt und quetschen das Ganze mit dem Schraubstock an die Gewindestange. Das ist vielleicht nicht die feine englische Art, aber hey – es hält. Für Nachts um halb drei sogar erstaunlich gut.
Das Gegengewicht auf der anderen Seite gestaltet sich etwas einfacher: Nachdem der Hebel auf der unteren Seite der kardanischen Aufhängung deutlich länger ist als der obere Teil, brauchen wir hier nicht allzu viel Masse. Für unseren leichteren Testcamcorder Kodak Zi8 [2] reicht eine Skateboardrolle. Die Sony [3] Handycam HDR-SR1 stabilisieren wir mit drei Rollen und einem 500-Gramm-Hantelgewicht.
Zu guter Letzt: der Griff
Wie bereits erwähnt, soll eine Krücke als Griff herhalten. Die Gehhilfe entlastet das Handgelenk beim Tragen des Stativs. Jetzt fehlt noch die Verbindung zwischen Krücke und kardanischer Aufhängung. Dafür setzen wir auf einen Aluminiumwinkel, der auf der einen Seite exakt das größte Abflussrohr einfasst. Gegenüber verfügt er über eine Stange, die – mit etwas Gewebeband umwickelt – sicher in der Krücke sitzt.
Um die Belastung auf den Arm zu minimieren, versuchen wir, die Gesamtlänge des Griffs so kurz wie möglich zu halten. Je näher sich die gesamte Konstruktion am Körper befindet, desto kleiner ist die Hebelwirkung und damit die erforderliche Muskelkraft.
Feintuning des Steadycam-Stativs
Das von uns gebaute Pendelsystem hat – wie der Name schon verrät – ein Problem: Es pendelt nach. Wir verlagern die Position der Gegengewichte in vertikaler Richtung so lange, bis die störenden Bewegungen minimal sind. Optimal ausbalanciert ist das Stativ theoretisch dann, wenn sich der Schwerpunkt exakt in der Mitte der kardanischen Aufhängung befindet. Die besten Ergebnisse erzielen wir allerdings, wenn der Schwerpunkt ein klein wenig unterhalb des Zentrums liegt.
Zudem muss der Schwerpunkt der Videokamera so exakt wie möglich mittig über der senkrechten Hebelachse sitzen. Andernfalls kippt die Kamera und filmt statt den Darstellern nur den Boden oder den Himmel. Beim Kodak Zi8 haben wir leichtes Spiel, der Pocket Camcorder ist gut ausbalanciert. Wir müssen lediglich in die Position des Gegengewichts austarieren.
Der deutlich größere und massigere Sony-Camcorder macht uns das Leben nicht so leicht. Erstens brauchen wir deutlich mehr Gewicht am unteren Ende des Hebels, um die sperrigere Kamera aufzuwiegen. Und zweitens sitzt das Stativgewinde nicht über dem Schwerpunkt. Wir behelfen uns, indem wir die Hantelscheibe zwischen den drei Skateboardrollen einklemmen und nach rechts und links verschieben, bis die Videokamera gerade hängt. Es ergibt Sinn, den Camcorder vor dem Justieren in den aufnahmefertigen Zustand zu versetzen. Beim ersten Versuch nach dem Justieren klappen wir das Display der SR1 aus, und schon ist das Stativ wieder schief.
Resultate
Im Gegensatz zum freihändigen Herumlaufen wirken Videos mit dem Eigenbau-Steadyshot weitgehend frei von schnellen Neig- und Kippbewegungen. Durch die schwere Konstruktion reduzieren sich zudem Stöße in vertikaler Richtung. Allerdings schaukelt sich die Aufhängung gerade bei schnelleren Richtungswechseln und den damit verbundenen Beschleunigungen immer wieder auf. Das Ergebnis ist eine langsame Pendelbewegung. Hier besteht noch Verbesserungsbedarf.
Übrigens lässt sich das Stativ auch umdrehen – also das Gewicht oben und der Camcorder unten anbringen. Damit sind Kamerafahrten in Bodennähe möglich. Das eignet sich ideal, um etwa anschleichende Raubtiere oder wahlweise auch Aliens zu mimen.
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Eines darf man ebenfalls nicht vergessen: Der Umgang mit einer Steadycam will gelernt sein. Am Set gibt es speziell ausgebildete Kameramänner für diese Art von Stativen. Und auch wir stellen fest – je länger wir mit unserem Konstrukt filmend durch die Gegend laufen, desto ruhiger gelingen die Aufnahmen.
Verbesserungswürdig – aber wie?
Von der Perfektion ist unsere Stadycam sicherlich noch ein ganzes Stück entfernt. Unser Stativ kommt – gerade bei Beschleunigungen nach vorne und hinten – leicht ins Pendeln. Daran tragen möglicherweise Fertigungsungenauigkeiten eine Mitschuld. Außerdem sind wir auf der Suche nach einem Mechanismus, der das Schwingen schneller stoppt, eine Art Dämpfung also.
Eine einfachere Halterung für den Camcorder wäre ebenfalls praktisch. Zudem ist es wichtig, auch den Schwerpunkt der Videokamera präzise über dem senkrecht verlaufenden Hebelarm zu positionieren. Wir forschen nach einer geeigneten Lösung. An den Gegengewichten gibt es ebenfalls noch zu feilen – die Skateboardrollen auf der langen Gewindestange hin- und herschieben ist noch nicht das Gelbe vom Ei. Zudem wäre es praktisch, wenn sich die Ruheneigung des Stativs auch durch die Gegengewichte feintunen ließe. Eine Überlegung ist es auch, das gesamte System mit einem elektrisch angetriebenen Kreisel zu stabilisieren.
Fazit
Zugegeben, wir haben uns den Bau eines Steadyshots einfacher vorgestellt. Aber schließlich gibt es ja auch einen guten Grund, wieso die Profimodelle bis zu 45.000 Euro kosten. Wir haben mit insgesamt rund 20 Euro nicht einmal 1/2000 davon investiert – damit bleibt noch ordentlich Budget für eine attraktive Hauptdarstellerin. Die Ergebnisse unseres Stativs sind zwar noch verbesserungswürdig, zeigen aber auch, was möglich ist. Wir basteln fleißig weiter und suchen nach Lösungen für die auftretenden Probleme, die möglichst einfach und günstig zu realisieren sind. Wir freuen uns über Erfahrungsberichte und Anregungen.
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URL zum Artikel: https://www.cnet.de/41522762/steadycam-im-eigenbau-kamerafahrten-wie-auf-schienen/
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[1] Forstnerbohrer: http://de.wikipedia.org/wiki/Forstnerbohrer
[2] Kodak Zi8: https://www.cnet.de/tests/camcorder/41501422/kodak+zi8+im+test+winziger+full_hd_camcorder+mit+toller+videoqualitaet.htm
[3] Sony: http://www.cnet.de/unternehmen/sony/