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Ausführlicher Testbericht: Microsoft Xbox 360 Kinect sorgt für Action
von Daniel Schraeder und Jeff Bakalar am , 18:47 Uhr
Kinect ist ein absoluter Blickfänger. Die Ganzkörper-Bewegungserkennung funktioniert erfreulich gut und sorgt vor allem auf Partys für ordentlich Spaß - vorausgesetzt, man hat genügend Platz im Wohnzimmer. Motivierte Spieler können sich außerdem den Fitnessstudio-Beitrag sparen. Profi-Gamer werden aber wohl mit einem normalen Controller glücklicher.
Nintendo hat’s mit der Wii vorgemacht: Eine abgefahrene Bewegungssteuerng sorgt für viel Partyspaß, einen guten, sportlichen Ruf – und gute Konsolenverkäufe. Nach Sony kommt Microsoft nun als letzter der drei Konsolenhersteller im Markt der Zappelspiele an, wenn auch mit einem ganz anderen Konzept: Bei Xbox Kinect erkennen drei Kameras und ein Array aus Mikrofonen Position und Bewegungen der Spieler und binden ihn ganz ohne Controller in die Games ein. Wir haben getestet, ob und wie das funktioniert.
Als vor fünf, sechs Jahren die neue Generation der Spiele-Konsolen auf den Markt kam – Nintendo Wii, Sony [1] PlayStation 3 und Xbox 360, schien die Situation klar: Xbox und PS3 rocken mit HD-Auflösung und gigantomanischer Grafik, und die Wii mit ihren Zappel-Fernbedienungen und SD-Grafik ist etwas für Kinder. Weit gefehlt, die Wii führt die Verkaufsstatistik über Jahre hinweg an, erschließt komplett neue Zielgruppen, ist beliebt und erfolgreich. Und weckt so gewisse Begehrlichkeiten bei Sony und Microsoft [2].
Während Sony derzeit sein PlayStation Move genanntes Konzept in den Markt bringt, startet Microsoft den Verkauf seiner Bewegungssteuerung Xbox Kinect. Die Sony-Entwicklung geht dabei durchaus in die Richtung der Wii-mote-Steuerung: Der Spieler hält einen Controller mit Beschleunigungssensoren in der Hand, dessen Position darüber hinaus mit Kameras im Raum ermittelt wird. Microsoft versucht’s noch krasser – und macht den Spieler selbst zum Gamepad. Controller, Buttons, Sticks & Co. gibt es nicht, stattdessen hält man beim Autorennen ein virtuelles Lenkrad zwischen den Fingern, kickt virtuelle Bälle (oder Gegner) und hüpft munter vor dem Fernseher auf und ab. Dafür ist der knapp 150 Euro teure Kinect-Sensor nötig, der mit drei Kameras und einem Stapel an Mikrofonen ausgestattet ist und auf (oder unter) dem TV-Schirm platziert wird.
Wer auf den Kaufpreis noch gut 20 Euro drauflegt, bekommt für das Geld auch eine komplette Nintendo-Konsole samt Controller und Sports-Spiel. Ob sich der Kinect-Kauf dennoch lohnt, zeigt der Test.
Design
Die eigentliche Hardware besteht aus einer übergroßen und viel zu breiten Webcam. Beziehungsweise, eigentlich aus drei Kameras, die in einem schwarzen Kunststoff-Balken untergebracht sind, der seinerseits auf oder unter dem Fernseher steht. Das Kinect-Interface ist knapp 30 Zentimeter lang und knapp 8 Zentimeter tief. Es ist auf einem kleinen, eckigen Standfuß montiert und richtet sich motorisiert selbst im Raum aus. Flachbildschirmbesitzer bekommen optional übrigens eine Halterung für die Montage oberhalb der Bildfläche – ansonsten steht die Sensor Bar unterhalb des Panels.
Auf der Vorderseite der Sensor Bar befinden sich diverse Aussparungen und Fensterchen, hinter denen Abstandssensoren, Farbkamera und Mikrofone verborgen sind. Außerdem gibt es noch eine Infrarot-Lichtquelle, die die Kinect-Kamera beim Erfassen des Raums unterstützt, sowie eine grüne LED, die beim Einschalten blinkt und danach leuchtet.
Aufbauen
Vermutlich werden die meisten Kinect-Käufer weniger Probleme mit der Technik und ihrer Erkennungsgenauigkeit haben als mit dem Platzbedarf, den Kinect an Wohnzimmer oder Hobbykeller stellt. Mindestens zwei Meter Platz sollten es zwischen Kameras und Spieler schon sein. Dazu gesellt sich noch ein gewisser Bewegungsspielraum, der im Einsatz nötig ist. Und schon sollte der Wohnzimmertisch gute drei, besser vier Meter vom Fernseher entfernt stehen.
Schöne, neue Werbewelt: Reale Wohnzimmer haben oft weniger Platz zu bieten: Der Spieler muss sich mit Tisch und Hund um seinen Platz streiten.
Im Pressematerial von Microsoft ist das natürlich kein Problem. Auf den offiziellen Fotos ist eine Familie zu sehen, die sich vergnügt in ihrem weitläufigen Wohnzimmer vor Kinect austobt. In der Realität ist häufig weniger Platz, egal, ob in der Mietwohnung in der Innenstadt oder in der Studenten-WG. Wir können nicht oft genug darauf hinweisen, das Platz einfach nötig ist – und ob der vorhanden ist, sollte durchaus ein kaufentscheidendes Kriterium darstellen.
Microsoft selbst stellt keine speziellen Anforderungen an den genutzten Fernseher. Wir sind uns da nicht so sicher – ob die Interaktion mit der virtuellen Welt auf einem 26-Zöller wohl noch Spaß macht? Schließlich muss für die realen Bewegungen ja auch auf dem Bildschirm genügend Auslauf vorhanden sein. 32 Zoll oder mehr sollten es unserer Meinung schon sein – und im Idealfall natürlich HDTV.
Am einfachsten ist der Aufbau der Kinect-Einheit selbst übrigens für Besitzer einer neuen Xbox 360 Slim. Sie verfügt nämlich bereits von Haus aus über einen proprietären Kinect-Anschluss, über den die Sensor-Bar nicht nur Daten austauscht, sondern auch mit Energie versorgt wird. Wer sich vor Mitte 2010 für den Kauf einer Microsoft-Konsole entschieden hat, muss auf das mitgelieferte USB-Kabel zurückgreifen, das über eine Kabelpeitsche mit einer eigenen Stromversorgung und der Konsole verbunden werden will.
Danach erfolgt das Einrichten von Kinect. Der Aufbau selbst geht in wenigen Minuten vonstatten, und dann kommt ein etwas nervigerer Part: Die Sensor Bar muss sich kalibrieren. Da eine Sprachsteuerung möglich ist, ermittelt das System zunächst Störgeräusche in der Umgebung und passt sich entsprechend an. Vor allem in lauteren Umgebungen kann das durchaus seine Zeit dauern. Aber nach ein paar weiteren Minuten ist auch das geschafft – und die Neuanschaffung ist einsatzbereit. Wer möchte, kann noch ein paar zusätzliche Kalibrierungen durchführen.
Oberfläche
Bei der Installation von Kinect ändert sich das komplette Erscheinungsbild der Xbox-Oberfläche. Wer das aktuelle Update des Dashboards schon auf seiner Konsole installiert hat, kennt bereits erste Auswirkungen – aber die Masse der Funktionen bleiben im Hintergrund versteckt, bis die Sensor Bar angeschlossen ist. Und sobald das der Fall ist, stößt man fast schon unweigerlich ein erstes Wow aus.
Wer anfängt, die Elemente auf dem Bildschirm mit Wischbewegungen in der Luft zu verschieben, Menüpunkte auswählt oder sich durch verschiedene Optionen und Seiten wischt, denkt fast automatisch an Tom Cruise in Minority Report.
Kinect muss nicht explizit eingeschaltet werden. Das Auge ist immer bereit und lässt sich mit einer Winkbewegung in Richtung Display aktivieren. Dann bewegt sich ein kleines Hand-Icon im unteren rechten Bildschirmbereich, das bekannte Dash-Board verschwindet, und die Kinect-Oberfläche poppt auf. Der Homescreen heißt übrigens Kinect Hub – hallo, Windows Phone 7. Hier zeigen riesige Icons die verschiedenen Funktionen, die zur Verfügung stehen. Ausgewählt wird, indem man die Hand für ein paar Sekunden über eine Schaltfläche hält.
Zu den Diensten, die zur Verfügung stehen, gehören Microsofts Musikplattform Zune, die Bildtelefonie namens Video Kinect, das Musikangebot Last.fm (Anmerkung der Redaktion: Last.fm gehört, wie CNET.de, zu CBS Interactive) sowie Sport- und Informationsangebote. Weitere Angebote werden folgen.
Kinect Hub: Von hier aus geht’s zu verschiedenen Kinect-Diensten wie der Video-Telefonie, Online-Videos oder News-Plattformen.
Die Bedienung ist konsistent, intuitiv und einfach. Wer hier beispielsweise ein Video betrachtet, kann mit einfachen Wischbewegungen spulen, stoppen, pausieren und so weiter. Auch Sprachbefehle sind möglich, die im feinsten Star-Trek-Stil durch das Wort Xbox eingeleitet werden. Sofort taucht ein Popup-Menü auf, das die zur Verfügung stehenden Kommandos anzeigt. Hier und da gibt es allerdings einige Inkonsistenzen bei der Sprachsteuerung – an manchen Stellen, an denen wir mit ihr gerechnet haben, ist sie nicht verfügbar. Immerhin weist ein Mikrofon-Symbol in der unteren rechten Ecke darauf hin, wenn die Sprachsteuerung an der entsprechenden Stelle möglich ist.
Unter den Angeboten hat uns der Video-Chat Video Kinect am meisten beeindruckt. Er verbindet Kinect-Nutzer untereinander, kommuniziert aber auch mit Usern des Windows-Live-Messengers am PC. Genial ist hier die Gesichtsverfolgung von Kinect: Der Anwender kann sich weitgehend frei im Raum bewegen, ist aber dennoch immer beim Gesprächspartner zu sehen.
Ein nettes Feature ist auch der Körperscanner. Auf Wunsch weist Kinect einem Spieler nämlich aufgrund seiner Figur den zugehörigen Xbox-Live-Account zu. Natürlich geht die Auswahl per Controller mindestens genau so schnell, aber Minority Report und so – das ist einfach cool.
Bereits ohne ein erstes Spiel gestartet zu haben, hat uns Kinect an dieser Stelle schon überzeugt. Die Bedienung von Menüs, Apps und Videoplayer mit den Händen frei im Raum funktioniert erstaunlich gut. Die Gestensteuerung ist aber auch unabhängig von der Wahl des Live-Accounts nicht unbedingt die schnellste Möglichkeit, mit der Konsole zu interagieren. Wenn die erste Begeisterung nachlässt, erwischt man sich schnell wieder dabei, doch mit dem Controller durch die Menüs zu zappen.
Simpel und intuitiv: Die Bedienung des Videoplayers mit der Hand sorgt am Anfang für einen echten Wow-Effekt.
Der Lärmpegel und die Akustik im Gaming-Zimmer entscheidet maßgeblich darüber, wie gut die Spracheingabe funktioniert. In normalen Wohnzimmern ist das üblicherweise kein Problem, beim Einsatz in Räumen mit großzügiger Architektur oder Lofts schon eher.
Spiele
Ab dem Verkaufsstart werden sechs Spiele zur Verfügung stehen. Bis zum Jahresende soll es insgesamt 17 Games geben. Weitere sind in Planung, und darüber hinaus sollen auch bekannte Spiele wie Sonic um die Zappelsteuerung erweitert werden. Die Hüllen der DVDs sind übrigens Lila statt Neongrün, um bereits im Laden ins Auge zu stechen.
Im Lieferumfang der Hardware ist Kinect Adventures bereits enthalten. Darüber hinaus haben wir einen Blick auf Kinect Sports, Kinectimals, Kinect Joy Ride, Your Shape: Fitness Evolved und Dance Party geworfen. Der Eindruck ist etwas gemischt: Bei einigen der Games wirkt der Preis (auf dem Niveau üblicher Spiele) fast schon unverschämt für das Gebotene, und andere tun sich mit der Gestensteuerung etwas schwer. Die meisten fallen übrigens in die typischen Wii-Kategorien der Sport-, Mini- und Partyspiele. Bei allen sechs Games muss der Nutzer vor der Konsole stehen.
Auch deswegen bringt uns Kinect mehr zum Schwitzen als PlayStation Move und Nintendo Wii. Das ist gut für jeden, der beim Kauf von Konsole und Zubehör den Fitness-Bonus als Argument vorschiebt, ist aber für das normale Feierabendzocken vielleicht ein Hinderungsgrund. Übrigens macht das Kinecten allein eher wenig Spaß. Die derzeit angebotenen Titel verfügen zwar allesamt über einen Single-Player-Modus, rocken aber erst ab zwei oder mehr Spielern. Die meisten Games erlauben übrigens auch zwei Spieler gleichzeitig vor der Kamera. Das ist noch besser, benötigt aber noch mehr Platz.
Etwas nervig ist eine Art Timing-Lernkurve, die jedes Spiel benötigt. Man muss also herausfinden, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um Aktionen vor der Kamera durchzuführen – und der unterscheidet sich von Game zu Game. Bei manchen der Titeln gibt es kein spürbare Verzögerung, bei anderen hingegen ist sie eher groß.
Vergleich zu Wii und Move
Es ist nicht ganz einfach, PlayStation Move und Nintendo Wii direkt mit Kinect zu vergleichen. Die Microsoft-Lösung ist weder dafür gedacht, auf reaktionsschnelle Tastendrücke einzugehen noch dafür, präzise Drehbewegungen zu erkennen – und ist damit für Hardcore-Gamer eher uninteressant.
Das Spielen ohne Controller hat Vor- und Nachteile. Wenn es auf Präzision ankommt wie bei First-Person-Shootern, ist ein mechanischer Steuerprügel mit Sticks und Kreuzen und Knöpfen einfach unverzichtbar. Aber auf der anderen Seite gibt es einfach eine ganze Reihe von Möglichkeiten, für die kein zusätzliches Zubehör nötig ist – wir denken an die Plastikanhäufung in der Wii-Kiste, in der Tennisschläger, Armbrust, Boxhandschuhe, Pistole & Co. um die Wette einstauben.
Aber wie gesagt, wirklich vergleichen lässt sich Kinect kaum. Das hier ist einfach ein ganz anderes Erlebnis. Natürlich gibt es starke Einschränkungen im Vergleich zu herkömmlichen Spielkonsolen, aber es gibt mindestens genauso viele neue Möglichkeiten, die geschaffen werden – und in die sich die Entwickler stürzen können. Derzeit spielt die Technik ihr Potential einfach noch nicht voll aus, aber vielleicht ist es hier so ein bisschen wie beim iPhone und dem inzwischen komplett umgekrempelten Smartphone [5]-Markt: Einer prescht vor, und drei Jahre später kann man sich Konsolen ohne Gestensteuerung nicht mehr vorstellen. Aber das ist Zukunftsmusik. Außerdem ist es wichtig für die Plattform, dass sich Games ins Portfolio einreihen, die man im Sitzen spielen kann. Es ist zwar bestimmt nicht verkehrt, die Gamer vom Sofa zu holen – aber nach einem anstrengenden Arbeitstag darf man auch mal Couch-Potato sein. Und dafür ist Kinect derzeit einfach nichts.
Fazit
Kinect verspricht nichts, was es nicht hält. Die Steuerung per Gesten scheint uns mehr eine Ergänzung als ein Ersatz für herkömmliches Gaming zu sein – und das klappt schon recht gut. Die zum Verkaufsstart zur Verfügung stehenden Spiele zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten in feinster HD-Grafik auf, und setzen so schon einen guten Kontrast zur im Vergleich untermotorisierten Wii.
Wer spielt, um zu entspannen, und in das Bild viel Stehen und Bewegung passt, wird mit Kinect sicherlich glücklich. Wer seinen Feierabend lieber sitzend auf dem Sofa verbringt, eher nicht so – zumindest bei der derzeitigen Auswahl an Spielen. Die Xbox-Gestensteuerung ist perfekt für Partys geeignet und fühlt sich in einem großen Wohnzimmer am wohlsten. Im vollgestopften Gamer-Zimmer ist sie nicht so glücklich.
Mit einem Preis von knapp 150 Euro ist Kinect nicht gerade ein Schnäppchen. Wie bereits Anfangs erwähnt gibt es für einen geringen Aufpreis schon eine komplette Wii. In Anbetracht der Tatsache, dass aber kein weiteres Zubehör wie zusätzliche Controller für mehr Spieler gekauft werden muss, relativiert sich das schon wieder – vor allem, wenn ohnehin schon eine Xbox im Haus vorhanden ist. Wenn nicht, gibt es ab demnächst ein Arcade-Bundle aus Konsole (mit 4 GByte Flash-Speicher) und Gestencontroller für knapp 300 Euro.
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[1] Sony: http://www.cnet.de/unternehmen/sony/
[2] Microsoft: http://www.cnet.de/unternehmen/microsoft/
[3] Sechs Spiele für Microsoft Kinect im Test: Rennen, Springen, Tanzen: https://www.cnet.de/41540237/sechs-spiele-fuer-microsoft-kinect-im-test-rennen-springen-tanzen/?pid=1#sid=41540203
[4] Gestensteuerung im Test: Wir haben Kinect ausprobiert: https://www.cnet.de/41533448/gestensteuerung-im-test-wir-haben-kinect-ausprobiert/?pid=1#sid=41540203
[5] Smartphone: http://www.cnet.de/themen/smartphone/